Pflichtteilsergänzungsanspruch - Lebensversicherung


    

Pflichtteilsergänzungsanspruch - widerrufliche Bezugsberechtigung auf Lebensversicherung

Ein enterbter Pflichtteilsberechtigter hat Anspruch auf Zahlung eines Pflichtteilbetrages in Höhe von 1/2 seines gesetzlichen Erbteils.
Berechnungsgrundlage ist der Nachlasswert im Todeszeitpunkt des Erblassers.
Nach § 2325 I BGB werden als Pflichtteilsergänzungsanspruch Schenkungen des Erblassers an einen Dritten dem Nachlasswert hinzugerechnet, wie wenn der verschenkte Gegenstand noch zum Nachlass gehört hätte.

Die immer wieder auftauchende Behauptung, dass eine Bezugsberechtigung auf eine Lebensversicherungsleistung diese dem Nachlass entziehe, ist also nur insofern richtig, als der Erbe die Versicherungsleistung zB gegenüber dem Nachlassgericht zur Bemessung dortiger Kosten für eine Testamentseröffnung und / oder die Erteilung eines Erbscheins nicht als Nachlasswert anzugeben hat.

Als Beispiel:
Der Erblasser hat testamentarisch seine zweite Ehefrau zu seiner Alleinerbin eingesetzt und damit seinen Sohn aus erster Ehe enterbt.
Der Wert des Nachlasses beträgt € 100.000, die Lebensversicherung zahlt € 40.000 an die überlebende Ehefrau aus.
Der enterbte Sohn hätte nach gesetzlicher Erbfolge zu 1/2 neben der Stiefmutter geerbt (bei Zugewinngemeinschaft als gesetzlichem Güterstand der Eheleute), sein Pflichtteil beträgt also 1/2 von 1/2 = 1/4.
Die Stiefmutter zahlt freiwillig 1/4 aus € 100.000, verweigert aber Zahlung auf einen Pflichtteils(ergänzungs)anspruch auf die 40.000 aus der Lebensversicherung.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28.04.2010 im Urteil BGH IV ZR 73/08 die umstrittene Rechtsfrage neu beurteilt, auf Grundlage welchen Werts ein Pflichtteilsberechtigter eine Ergänzung des Nachlasswerts nach § 2325 I BGB verlangen kann, wenn der Erblasser die Todesfallleistung einer von ihm auf sein eigenes Leben abgeschlossenen Lebensversicherung mittels einer widerruflichen Bezugsrechtsbestimmung einem Dritten schenkweise zugewendet hat.

Nach bisherigen Urteilen
-  habe der Bezugsberechtigte im Falle einer widerruflichen Bezugsberechtigung zu Lebzeiten des Erblassers lediglich eine mehr oder weniger konkrete Aussicht auf den Erwerb der Versicherungssumme, der Erblasser kann zu Lebzeiten die Bezugsberechtigung noch jederzeit anderweitig regeln. Damit habe der Erblasser nicht lediglich die Versicherungsprämien, sondern die gesamte Versicherungsleistung zugewendet, da sich erst mit dem Tod des Versicherungsnehmers die Bezugsberechtigung in eine unwiderrufliche umwandelt und ein Direktanspruch des Berechtigten gegen die Versicherung entsteht, sich also die Aussicht auf die Zuwendung zu einem Anspruch verfestigt (§186 II VVG) (zB OLG Düsseldorf) - im Beispielsfall also 1/4 aus € 40.000 = € 10.000;
- sei im Rahmen des Pflichtteilsrechts anders als im Insolvenzrecht nicht auf die Bereicherung des berechtigten Dritten, sondern auf die Entreicherung des Vermögens des Erblassers abzustellen, so dass allein die Summe der vom Erblasser bezahlten Prämien und nicht
die diese übersteigende Versicherungsleistung auf den Todesfall ergänzungserheblich sei (zB Kammergericht).

Der BGH hat die bisherige Rechtsprechung aufgegeben, und entschieden, dass es allein auf den Wert ankommt, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten - juristischen - Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In aller Regel ist dabei auf den Rückkaufswert abzustellen. Je nach Lage des Einzelfalls kann gegebenenfalls auch ein - objektiv belegter - höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein, insbesondere wenn der Erblasser die Ansprüche aus der Lebensversicherung zu einem höheren Preis an einen gewerblichen Ankäufer hätte verkaufen können.
Dabei ist der objektive Marktwert aufgrund abstrakter und genereller Maßstäbe unter Zugrundelegung der konkreten Vertragsdaten des betreffenden Versicherungsvertrags festzustellen. Die schwindende persönliche Lebenserwartung des Erblasseres aufgrund subjektiver, individueller Faktoren - wie insbesondere ein fortschreitender Kräfteverfall oder Krankheitsverlauf - darf bei der Wertermittlung allerdings ebenso wenig in die Bewertung einfließen, wie das erst nachträglich erworbene Wissen, dass der Erblasser zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich verstorben ist.